50 Jahre nach der Besetzung Tibets spricht eine Chinesin über ihre Erinnerungen

Titelbild
Der Platz vor dem Potala Palast in Lhasa. Aufnahme aus dem Jahr 2006. (China Photos/Getty Images)
Epoch Times10. März 2009

„Denk ich an Tibet“, sagt die zierliche Han-Chinesin, die jetzt Mitte sechzig ist, „dann stehen über 20 Jahre einer schweren Schufterei vor meinem inneren Auge. Zwanzig Jahre, in denen ich lieber in Peking gelebt und gearbeitet hätte und in denen ich gern ständig meine kleine Tochter bei mir gehabt hätte.“

Schon 1960 kam die junge Künstlerin als Mitglied eines Tanz- und Schauspielensembles nach Lhasa. Nicht freiwillig, sondern auf „Anordnung von oben“. Sprich, auf Anordnung der KP. Warum? Ihre Familie gehörte zu den Familien mit „schwarzen Wurzeln“, sie stammte aus einer vor der KP-Herrschaft hoch angesehenen bürgerlichen Familie. Grund genug, nicht aufzufallen und stillschweigend Anordnungen zu folgen, zumal ihr Ehemann schon bei der Besetzung Tibets 1959 mit dem Militär nach Lhasa gehen musste.

Der erste Teil der Anfahrt mit der Bahn nach Tibet war schon beschwerlich, aber nicht so strapaziös wie die restliche Strecke innerhalb des Landes, eingepfercht auf LKWs in fünf Tagen über 5000 Meter hohe Berge, über Straßen, die den Namen nicht verdienten. Kopfweh plagte sie die ganze Zeit und das Höhenklima in Lhasa war gewöhnungsbedürftig. Aber Klagen zählten nicht.

Das ganze Ensemble wohnte in einem ehemaligen buddhistischen Kloster, das noch intakt war, weil die Mönche vor den anrückenden Soldaten geflohen waren. So wurde es nicht zerstört, sondern nur besetzt. Die zweite Zerstörungswelle setzte erst Ende der sechziger Jahre mit der Kulturrevolution ein. Eingegliedert wurde sie mit ihren Kollegen in ein Künstlerensemble, das zur Unterhaltung sowohl der chinesischen Militärs eingesetzt wurde, als auch der einheimischen Bevölkerung. Tibeter gehörten auch dazu, nachdem sie mindestens drei Jahre in Peking nicht nur als Tänzer und Sänger geschult waren, sondern auch ihre Köpfe mit der obligatorischen Parteipropaganda gefüllt wurden.

„Angst haben wir eigentlich nicht gehabt vor den Tibetern, aber abends durften wir nicht auf die Straße und auch sonst nur zu dritt ausgehen. Im Tempel haben wir auf dem Altar getanzt, wir hatten ja keine Ehrfurcht, oder wir haben sie nicht gezeigt“, sagt meine Gesprächspartnerin. Sorge, sich und andere in Gefahr zu bringen, hat sie immer noch. Der lange Arm von Chinas KP sucht immer nach kritischen Geistern, um sie mundtot zu machen. Also gibt es keine Namen und keine genauen Angaben.

Bitter war es für sie, als sie zur Geburt ihrer Tochter nach Peking geschickt wurde ohne ihren Mann, der beim Militär bleiben musste. Nach Peking ging sie, weil Han-Chinesen als Kinder selten das raue Höhenklima in Tibet vertragen. Drei Jahre lang wurde die Tochter von Tanten aufgezogen, die aber auch entweder krank waren oder Angst vor Verfolgung durch die Partei hatten. Die Kleine wurde ein „Pendler-Kind“.

Als die Mutter sie endlich nach drei Jahren nach Lhasa holen konnte, erlitt das Kind einen Kreislaufzusammenbruch bei der Ankunft. Mit dem Kind auf den Armen hastete die Mutter ins Krankenhaus. Man wollte sie abwimmeln. „Nie habe ich vor einem Menschen gekniet, aber vor dem ersten Arzt, der mir über den Weg lief, bin ich auf die Knie gegangen und flehte ihn an, mein Kind zu retten.“

„Was wir heute nicht gerne sagen, weil wir den Freiheitskampf der Tibeter verstehen, ist die Tatsache, dass die Bevölkerung und das Land in einem sehr rückständigen Zustand waren. Das betraf die Vorstellungen von Sauberkeit und auch die strengen Hierarchien. Unter unseren Übungsräumen im Klosterkeller fanden wir auch deutliche Zeichen eines Geheimgefängnisses und Spuren von Folter. Trotzdem oder gerade deswegen sollte jedes Volk sein Selbstbestimmungsrecht haben.“

Nachdenklich fährt sie fort: „Wir Han-Chinesen wurden gegen unseren Willen in ein Land verfrachtet, dessen Sprache und dessen Gebräuche wir nicht kannten und in das wir niemals freiwillig gegangen wären. Die Tibeter mussten uns ertragen, weil die Macht der Panzer und Gewehre größer war als ihre Möglichkeiten zum Widerstand. Dann rollte über uns alle auch noch der Terror der Roten Garden in der Kulturrevolution. Alle Künstler und Intellektuellen wurden auf’s Land geschickt zur Feldarbeit, oder wie mein Mann als Holzfäller in die Wälder.“

„Anfang der achtziger Jahre konnten wir mit unserer Tochter endlich wieder nach Peking gehen, aber frei sind Chinesen auch nicht, Verfolgte der Kommunisten, beobachtet und ausspioniert wie die Tibeter, täglich, wenn auch nicht so auffällig. Die Schere im Kopf sagt immer, was wir sagen dürfen und wann Gefahr droht. Der rote Terror bleibt, solange die KP am Ruder ist und die Menschen nicht aufwachen und sie verjagen.“

Aufgezeichnet von Renate Lilge-Stodieck

 

 



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